BILDUNGSGERECHTIGKEIT

 

Bildungsgerechtigkeit
Aysun Doğmuș

Definition

Bildungsgerechtigkeit beschreibt einen sozialen Anspruch, allen gesellschaftlichen Mitgliedern den Zugang zu angemessen Bildungschancen zu ermöglichen. Dies ist in dreierlei Hinsicht von Bedeutung: 1. Bildungskapital gilt in modernen Gesellschaften wie Deutschland als zentrale Ressource für die Gestaltung des eigenen Lebenswegs und der gesellschaftlichen Teilhabe (Klein 2018), 2. Das deutsche Bildungssystem verspricht seit der Bildungsexpansion in den 1960er Jahren diesen Anspruch mit dem meritokratischen Prinzip zu gewähren, während es 3. soziale Ungleichheit (re-)produziert, was den Handlungsbedarf erst notwendig macht. Folgende Differenzierung ist dabei relevant (Geist 2020):

  • Verteilungsgerechtigkeit: Gleichheit der Bildungschancen
  • Teilhabegerechtigkeit: Gestaltung der Start- und Prozessbedingungen in Bildungsbiographien
  • Anerkennungsgerechtigkeit: Aufmerksamkeit für individuelle Bedürfnisse und Leistungen


Wichtigkeit im Kontext von Schule

Spätestens seit der ersten Pisa-Studie zeigt der Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft die hohe Selektivität des Bildungssystems. Erklärungen zu diesem Zusammenhang verweisen auf Mechanismen der institutionellen Diskriminierung (Ratdke/Gomolla 2009), die in den Schulstrukturen verankert sind. Wenn Schule aber ein zentraler Ort der (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit ist, ist sie auch der Ort, in dem sozialer Ungleichheit – hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit – entgegengewirkt werden kann.

Besondere Rolle von Lehrkräften mit Zuwanderungsgeschichte

Lehrer*innen of Color und Schwarze Lehrer*innen sind wie weiße Lehrer*innen aufgefordert, ihre Normalitätsvorstellungen der idealen Schüler*in und Involviertheit in die (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit zu reflektieren, um diskriminierungskritische und differenzsensible Unterrichtspraktiken etablieren zu können. Gleichzeitig sind Lehrer*innen of Color und Schwarze Lehrer*innen auf Grund ihrer schulbiographischen Erfahrungen möglicherweise sensibilisierter und können ungesehene Perspektiven im Schulalltag sichtbar machen. Dennoch kann der Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit nicht von einzelnen Lehrer*innen verantwortet werden. Vielmehr müssen schulische Strategien erfolgen, in die das professionelle Handeln aller Lehrer*innen eingebettet sein kann.

Projekte/Initiativen

Der Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit spiegelt sich in vielfältigen Initiativen zu schulstrukturellen Veränderungen und Schulentwicklungsprozessen wider, die mit Schlagwörtern, wie Inklusion und Vielfalt betitelt sind. In NRW bspw. findet der Schulversuch Primus (Primar- und Sekundarstufe) statt, der jahrgangsgemischten und individualisierten Unterricht in Langform anbietet. Auch in der Lehrer*innenbildung finden sich Initiativen, wie das Modul „Umgang mit Heterogenität an der Schule“ an der Universität Bremen, das für alle Lehramtsstudierenden verpflichtend ist, oder die Qualifizierung zur interkulturellen Koordinator*in am Landesinstitut für Schule in Hamburg. Ebenso gibt es zahlreiche Mentoringprogramme für Studierenden, aber auch bundeslandspezifische Initiativen, die sich gezielt an Schüler*innen richten.

Literaturhinweise

  • Geist, S. (2020): Bildungsgerechtigkeit. Die bleibende Herausforderung. In: Debus Pädagogik Verlag (Hrsg.): Gemeinsam lernen. Zeitschrift für Schule, Pädagogik, Gesellschaft, 1/2020, 6. Jhg., Frankfurt/M.: Debus Pädagogik Verlag, S. 8-14   Zur PDF
  • Gomolla, M. & Radtke, F.-O. (2009): Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule, 3. Auflage. Wiesbaden: Springer VS.   Zum Buch
  • Klein, W. (2018): Mehr Bildungsgerechtigkeit – was heißt das eigentlich?   Zum Artikel