INTERSEKTIONALITÄT
Intersektionalität
Susanne Völker und Julie A. Panagiotopoulou
Genese und Definition
Das Konzept der Intersektionalität geht in seiner Entstehungsgeschichte auf das Engagement us-amerikanischer Schwarzer Frauen* gegen Rassismus und Sexismus zurück. Ein Zusammenschluss Schwarzer Feministinnen veröffentlichte 1977 ‚Ein Schwarzes feministisches Statement‘, in dem sie auf ihre Lebensrealität der Verflechtung von unterschiedlichen sozialen Ungleichheits- und Diskriminierungskategorien aufmerksam machten. Sie problematisierten damit sowohl den Rassismus des weißen Feminismus, als auch die Wirkungsmacht patriarchaler Strukturen in der gesamten Gesellschaft. An diese aktivistischen Positionen knüpfte auch die afro-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw 1989 mit ihrem einflussreichen Aufsatz „Demarginalizing the intersection of race and sex: a Black feminist critique of antidiscrimination doctrine, feminist theory and antiracist politics“ an. Mit dem Begriff der ‚Intersection‘ zeigte sie anhand der gesellschaftlichen Situation von Schwarzen Frauen, dass sich aus der Überlappung von unterschiedlichen Diskriminierungen intersektionale (mehrfache) Benachteiligungen und somit auch komplexe Herausforderungen etwa an das Antidiskriminierungsrecht ergaben.
Zusammenfassend zielt der Ansatz der Intersektionalität darauf, das Zusammenwirken unterschiedlicher Dimensionen systematischer Bevorzugung und/oder Benachteiligung sichtbar zu machen. Es geht darum, sozial hervorgebrachte Kategorien wie class, gender, race, sexuality oder dis/ability nicht als ‚Einzelmerkmale‘, sondern als Intersektionen, als Verflechtungen zu verstehen, die in Macht- und Herrschaftsverhältnissen hervorgebracht werden und sich wechselseitig bedingen bzw. ‚definieren‘.
Auf das im Kontext der us-amerikanischen Schwarzen Feminismen entwickelte Konzept, hat es auch weitere, nachträgliche Bezüge gegeben. Im deutschsprachigen Raum hat Lutz (2001) die unterschiedlichen Rezeptionsgeschichten in den USA und Deutschland skizziert. Walgenbach (2007) hat auf ähnliche Zugänge in der ersten (proletarischen ) Frauenbewegung und das Zusammenwirken von class und gender bzw. Klasse und Geschlecht und der sozialen Bewegung von Menschen mit Behinderung (mit Blick auf Disability und Geschlecht) hingewiesen.
Bedeutung im Kontext von Schule
Im schulischen Kontext geht es um eine Auseinandersetzung damit, dass Schüler*innen und Lehrkräfte intersektional unterschiedliche Welterfahrungen machen. Sie sehen mitunter unterschiedlich auf Dinge oder sie erfahren Zuschreibungen, Festlegungen und Versämtlichungen – aufgrund von bestimmten sozialen Erfahrungen wie der Herkunft aus einer sozialen Klasse oder die biographische Erfahrung der Migration.
Intersektionalität bedeutet, die Wirksamkeit von unterschiedlichen sozial produzierten Ungleichheiten gerade in ihrem Zusammenspiel sichtbar zu machen und die einzelnen Schüler*innen und Lehrkräfte nicht auf diese Dimensionen zu reduzieren. Dieser Ansatz macht auf Mechanismen und Prozesse innerhalb des Schulsystems aufmerksam, die mehrdimensionale (z.B. national-kulturelle, ethnisch-religiöse) Differenz- und Zugehörigkeitsordnungen hervorbringen und zu Diskriminierungen im Kontext von Bildungseinrichtungen führen.
Literaturhinweise
- The Combahee River Collective (2019): Ein Schwarzes Feministisches Statement (1977). In: Natasha A. Kelly (Hg.). Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte, Unrast: Münster, S. 47-60 Zum Buch
- Crenshaw, Kimberlè (2019): Das Zusammenwirken von Race und Gender ins Zentrum rücken: Eine Schwarze feministische Kritik des Antidiskriminierungsdogmas, der feministischen Theorie und antirassistischer Politiken (1989). In: Natasha A. Kelly (Hg.). Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte, Unrast: Münster, S. 143-184 Zum Buch
- Lutz, Helma (2001): Differenz als Rechenaufgabe: über die Relevanz der Kategorien Race, Class und Gender formal überarbeitete Version der Originalveröffentlichung. In: Lutz, Helma; Wenning, Norbert (Hg.). Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft. Opladen : Leske + Budrich, S. 215-230 Zum Buch
- Walgenbach, Katharina (2007): Gender als interdependente Kategorie. In: Katharina Walgenbach, Gabriele Dietze, Antje Hornscheidt, Kerstin Palm (Hg.). Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen & Farmington Hills, 23-64 Zum Buch